Wenn Welten kollabieren

«Siebzig Jahre gemeinsame jugoslawische Geschichte – 1941–1945, unterbrochen von einem äusserst blutigen Bürgerkrieg – erwiesen sich als zu wenig, um Gebiete zu einem Staat zusammenwachsen zu lassen, die seit tausend Jahren unterschiedliche Wege gegangen waren. Um Völker, die nach Jahrhunderten unter fremder Herrschaft von der Erfüllung ihrer nationalen Aspirationen träumten, zu einem neuen Staatsvolk zu formen. Als mit dem Ende des Kalten Krieges das ideologische Korsett entfiel und die Macht der kommunistischen Partei kollabierte, suchte jeder Teil Jugos-
lawiens seinen Weg, zum Teil angeführt von Politikern, die sich in einer historischen Rolle wähnten: Der Norden wollte kompromisslos nach "Europa" – ohne den armen Süden; die Serben wollten weiterhin in einem Staat leben und nicht in mehreren, Makedonien und Bosnien-Herzegowina hatten – mit gutem Grund – Angst vor der Zukunft und wurden eher in die
Unabhängigkeit gedrängt als dass sie sie gesucht hätten. Die Vorstellungen von der Zukunft waren zu verschieden, die territorialen Ansprüche nicht kompatibel und Krieg die Folge – weil alle meinten, eine historische Chance nutzen zu müssen.»

Prof. Dr. Nada Boškovska
Expertin für Osteuropäische Geschichte an der Universität Zürich.